Milieu
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MILIEU
Wir von LIDA-SH sprechen von Täter*innen bzw. Verantwortlichen, da der Täter*innen-Begriff nicht bei allen antisemitischen Vorfällen trennscharf ist. Etwa, wenn sich ein Kind in der Schule implizit antisemitisch äußert, fehlt es an Vorsatz sowie Tatentschluss – den für Täter*innenschaft zentralen Merkmalen. Gleichwohl ist auch dieses Kind für seine Aussage verantwortlich.
Unter der Kategorie des Milieus erfasst LIDA-SH das (politischen) Milieu, dass in dem Vorfall zum Ausdruck kommt. Dieses ergibt sich aus den Umständen und den Kontexten des antisemitischen Vorfalls, die Aufschluss über Einstellungen und Ideologien der Täter*innen /Verantwortlichen geben können.
Wir treffen diese Einschätzung auf Grundlage der uns zur Verfügung stehenden Informationen, wie etwa der Beschreibungen der Meldenden, Zeit und Ort des Vorfalls sowie den Eigenheiten des Vorfalls an sich. Grundsätzlich ordnen wir einen Vorfall einem bestimmten Milieu nur dann zu, wenn wir davon ausgehen, dass diese Zuordnung mit hoher Wahrscheinlichkeit korrekt ist. Haben wir Zweifel oder liegen keine Informationen vor, weisen wir das Milieu als „nicht zuordenbar“ aus.
Die Erfassung des politischen Milieus ist mit zwei zentralen Herausforderungen verbunden:
Erstens sind wir häufig im hohen Maße auf die Einschätzungen der Meldenden angewiesen. Das bedeutet auch, dass Aussagen zum Milieu der Täter*innen von der Sensibilität der Meldenden für das jeweilige Milieu sowie ihren eigenen Zuschreibungen abhängig ist. Vor diesem Hintergrund ist es wahrscheinlicher, dass ein extrem rechter Tathintergrund häufiger erkannt wird als beispielsweise ein evangelikaler. Hinzu kommt, dass für manche Ideologien, wie zum Beispiel die der extremen Rechten, der Antisemitismus konstitutiv ist. Antisemitismus als ideologisches Fragment tritt hier meist nicht nur offen und eindeutig auf, er ist Meldenden in der Regel auch als ein zentrales Ideologiefragment bekannt. Wir vermuten darüber hinaus, dass Meldende eine Zuordnung zu einem bestimmten Milieu vor allem dann vornehmen, wenn dieses für sie besonders auffällig oder markant ist beziehungsweise im Besonderen von der sozialen Norm abweicht.
Eine zweite Herausforderung besteht in der Zuordnung von Vorfällen, deren Täter*innen bzw. Verantwortliche gänzlich unbekannt sind. Dies ist etwa bei Beschädigungen oder Schmierereien im öffentlichen Raum häufig der Fall. Hier können wir nur aus den Umständen des Vorfalls schließen. Zu den Umständen zählen wir zum Beispiel Zeitpunkt und Ort des Vorfalls. Wenn am 20.April (Geburtstag von Adolf Hitler) ein jüdischer Friedhof mit Hakenkreuzen geschändet wird, ist ein extrem rechter Tathintergrund wahrscheinlicher als dies an einem anderen Tag und anderen Schmierereien der Fall wäre.